Am 23.07.22 ist es zwei Jahre her, dass Ferhat Mayouf vom Knast Moabit ermordet wurde. Ferhat war 36 Jahre alt, kam aus Algerien und war Person of Color. Er wurde mithilfe des eigentlich nicht schwerwiegenden Vorwurfs „Diebstahl“ inhaftiert, weil er keine deutsche Staatsangehörigkeit hatte. Bei der Festnahme wurde er von Bullen verprügelt, im Knast von Wärter*innen misshandelt und am 23.07.2020 ließen sie ihn in seiner brennenden Zelle sterben. Obwohl er mehrere Minuten lang immer wieder „Feuer, Feuer, Hilfe, Hilfe!“ schrie, öffneten die Wärter*innen seine Zellentür nicht. Ferhat Mayouf starb in jener Nacht an einer Rauchvergiftung. Ausführliche Informationen dazu findet ihr hier.
Wir haben uns in den letzten zwei Jahren Mühe gegeben, die Ursachen seines Todes in die Öffentlichkeit zu bringen und das Schweigen über die rassistische Repression zu brechen. U.a. haben wir etwa einen Monat nach seinem Tod, ebenso ein halbes Jahr und genau ein Jahr später Demonstrationen bzw. Kundgebungen um den Knast Moabit organisiert – immer mit der Unterstützung von Free Mumia Berlin und Einzelpersonen. Ein großes Danke an euch an dieser Stelle. Neben der Organisierung von Kundgebungen/Demonstrationen haben wir Radios und Zeitungen etliche Interviews gegeben, Redebeiträge auf „anderen“ Demos/Kundgebungen gehalten und bundesweit auf Veranstaltungen über den Mord gesprochen usw. Hier könnt ihr nachlesen, was seit seinem Mord an Öffentlichkeitsarbeit alles passiert ist.
Schon im letzten Jahr kommunizierten wir mehreren Gruppen in Berlin, dass wir mit der Öffentlichkeitsarbeit, d.h. der umfassenden Pressearbeit, der Recherche über den Mord, den Kontakt zu den Angehörigen und der Planung der Demonstrationen/Kundgebungen überfordert sind und mehr Unterstützung von anderen Gruppen brauchen. Leider fiel diese, außer von der oben genannten, eher dünn aus.
Hinzu kommt, und diese Info haben wir bis heute nicht veröffentlicht, dass der Bruder von Ferhat ein Strafverfahren gegen den Knast Moabit anstrebt. Auch hier sind wir bemüht, ihn zu unterstützen. Das bedeutet konkret, dass wir uns auch mit der Juristerei, also mit allen notwendigen juristischen Schritten für ein solches Verfahren, auseinandersetzen, in diesem Prozess mitwirken und uns außerdem um die Finanzierung von all dem kümmern. Konkrete Infos werden dazu noch folgen.
All das machen wir neben unserer eigentlichen Arbeit, Gefangene bundesweit zu unterstützen. Die sichtbare Arbeit, also Veröffentlichungen auf unserem Blog, sind der kleinste Teil der Arbeit. Hinter jeder Veröffentlichung steckt ein Kontakt zu Gefangenen – und diese unsichtbare Arbeit, also die Kommunikation mit denen, die hinter den Mauern sitzen, kostet am meisten Zeit und Energie. Wir wollen nicht rumjammern, wir wollen uns auch nicht beschweren – unsere Wut und feindliche Haltung gegen Knäste, aber auch unsere Liebe zur Freiheit lassen uns täglich weiterkämpfen! –, aber jeder Tag hat eben auch nur 24 Stunden, weswegen wir nun leider bekannt geben müssen, dass wir die praktische Solidarität auf der Straße, konkret also die Demonstration zum Todestag von Ferhat Mayouf, nicht mehr organisieren können.
Wir fänden eine solche Demonstration sehr wichtig. Im letzten Jahr war es uns ein Anliegen, gegen die Erzählung des angeblichen „Einzellfalls“ anzukämpfen, weshalb wir im Aufruf vor allem auf den strukturellen Rassismus in der Gesellschaft, in allen staatlichen Institutionen und vor allem im Knast und auf der Straße thematisierten. Aber auch, weil Knast niemals die Lösung für irgendetwas sein kann und der Mord auch eben nur stattfinden konnte, weil Ferhat eingeperrt in einer Zelle wurde, war es uns wichtig, den Tod nicht für sich alleine stehen zu lassen, sondern mit einer antirassistischen und Anti-Knast Perspektive thematisch anzugehen.
Genauso wichtig war es uns, dass diejenigen, die immer noch sitzen müssen, etwas von uns mitbekommen – um die Isolation zu brechen, um ihnen zu zeigen, dass wir an sie denken und dass sie nicht vergessen sind. Im letzten Jahr haben wir deswegen eine Zwischenkundgebung vorm Knast gemacht: Viele Gefangene schauten aus ihren Fenstern, winkten und riefen uns zu und vor Ort konnte somit eine Verbidnung zwischen drinnen und draußen hergestellt werden. Es war für viele ein sehr emotionaler Moment.
Dieses Jahr keine Demonstration zum Todestag zu organisieren, um so Ferhat zu gedenken und dabei alle anderen Gefangenen mitzudenken, zerreißt uns das Herz. Wir werden es allerdings einfach nicht schaffen, eine solche Demo auf die Beine zu stellen, ohne alle anderen Aufgaben, welchen wir täglich nachgehen, liegen zu lassen.
Deswegen wenden wir uns mit diesem Schreiben an alle emanzipatorischen Gruppen, speziell natürlich an Menschen in Berlin: Falls ihr noch Kapazitäten zur Verfügung habt, falls es euch auch ein Anliegen ist, den Mord nicht zu verschweigen, und falls ihr es ebenso wichtig findet, an alle anderen Gefangenen die noch sitzen müssen, zu denken und sie zu unterstützen, würden wir uns sehr freuen, wenn ihr eine solche Demonstration organisieren könntet!
Wenn ihr dazu konkretere Fragen habt, könnt ihr uns natürlich auch gerne schreiben. Wir werden uns auch darum bemühen, zeitnah Informationen zum Strafverfahren zu veröffentlichen.
Und für alle, die am 05.06.22 auf der kulturellen Landpartie im Wendland sind: Dort werden wir ebenfalls um 15 Uhr auf dem MEUCHEFITZ GASTHOF über den Mord an Ferhat sowie aktuelle Entwicklungen, auch im Bezug auf das Verfahren, sprechen. Wir würden uns sehr freuen, euch dort zu treffen!
Korrektur 30.06.2022: Wir waren zwar ein Teil der Kampagne „Death in Custody„, haben aber die Kundgebung ein halbes Jahr nach der Ermordung von Ferhat Mayouf nicht wie oben beschrieben mit Free Mumia und Einzelpersonen organisiert – die Orga wurde vielmehr von der gesamten Kampagne gestemmt.