300,-€ für rechtswidrige Fesselung zum Krankenhaus
Andreas B. war bis zum Oktober 2020 im Knast Bützow untergebracht. Mehrfach hatte er über die dort herrschenden Zustände berichtet, auch wir teilten seine Beiträge und ließen unsere Positionen dabei mit einfließen. Dem Knast gefiel das offensichtlich garnicht, weswegen er Andreas mit massiver Repression überzog – wie auch in dieser Geschichte:
Andreas ist am 27.01.2020 auf einer Ausführung zur Radiologie nach Güstrow gebracht worden, um seine Schilddrüse untersuchen zu lassen. Die Ausführung hat in Fußfesseln stattgefunden, welche mit einer Fluchtgefahr begründet worden sind. Die Fluchtgefahr wiederum begründete die Anstalt mit unseren Beiträgen (wobei sie uns und die GG/BO durcheinanderbrachte). Weiter unten könnt ihr euch die Interpretation des Knastes zu unseren Beiträgen durchlesen – was wir euch sehr ans Herz legen, sie laden zum lachen ein.
Gegen diese Fesselung wehrte sich Andreas gerichtlich. Wir dokumentieren folglich den Verlauf des Rechtstreites, weil er auch anderen Gefangenen helfen kann, sich juristisch gegen Fesselung und/oder gegen Repression durch unsere Beiträge zu wehren. Und, weil der gesamte Verlauf, in welchem der Knast und das Gericht immer wieder unsere Beiträge kommentieren, interpretieren und bewerten, wirklich witzig ist.
Der Verlauf:
Am 27.01.2020 ist Andreas gefesselt der Radiologie in Güstrow vorgeführt worden. Die Fesselung an den Füßen war in dem Wohngebiet, in der sich die Radiologie befindet, bereits beim Aussteigen aus dem Transporter für jeden sichtbar. Auch in der Arztpraxis musste Andreas mit den angelegten Fußfesseln im Warteraum verweilen, wo sich zahlreiche Besucher*innen befanden.
Andreas wandte sich direkt zwei Tage später, also am 29.01.20, mit seiner Rechtsanwältin und mithilfe des §109 StVollzG, einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, an das Landgericht Rostock. Er begründete seinen Antrag mit einer fehlenden Fluchtgefahr. Die detaillierten Argumente und juristischen Feinheiten, welche Andreas anwendete, könnt ihr hier nachlesen.
Am 27.03.20 versuchte der Knast das Landgericht davon zu überzeugen, dass Andreas Antrag doch bitte als unbegründet verworfen werden solle. Im Wesentlichen berief sich der Knast dabei darauf, dass Andreas keine Lockerungen besäße und deswegen von Fluchtgefahr ausgegangen werden müsse (wir können auch nur die sehr platte Argumentation des Knastes wiedergeben, nicht für dessen Sinn garantieren).
Weswegen Andreas keine Lockerungen zugestanden werden, macht die Anstalt dabei sehr deutlich:
Der Antragsteller wende sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen gegen die Justiz und den Vollzug im Besonderen. Dabei beschränke er sich nicht auf das permanente Schreiben von Beschwerden und Anträgen auf gerichtliche Entscheidung, sondern er versuche auch auf anderen Wegen, dem Strafvollzugssystem zu schaden. So werde in Aufrufen der GG/BO (Gefangenengewerkschaft), als deren Sprecher für die JVA Bützow er sich regelmäßig bezeichnen lasse, unter anderem in einem Beitrag der Homepage mit ausdrücklichem Bezug auf Einlassungen des Antragstellers ausgeführt: „Wir wissen, dass der gesamte Justizapparat mit vielen Faschist*innen besetzt ist. Was wir dagegen tun können, ist sie zu benennen und gegen sie zu agieren. Wenn ihr also von faschistischen Justizschweinen wisst, schreibt uns gerne Namen und was ihr sonst noch so wisst!“, „Wir rufen dazu auf, kreativ dagegen vorzugehen. Wir lassen uns vom Staat und seinen Institutionen nicht vorschreiben, was gut und schlecht für uns ist. Wir fällen selbst Entscheidungen, ohne Vorgabe vom Staat und ohne seine Bevormundung.“ und „Deswegen müssen die Knäste geöffnet und die Gefangenen frei gelassen werden.“
Aus Sicht der Antragsgegnerin sei der Antragsteller aktuell somit ein Gefangener, der jede Gelegenheit nutzen werde, um der Antragsgegnerin und den dortigen Bediensteten zu schaden und in Misskredit zu bringen. Dem Antragsteller sei sehr wohl bewusst, wie er die größtmögliche Wirkung gegen die Antragsgegnerin erreiche. Dazu würden u.a. skandalisierte, z.T. frei erfundene Berichte gehören, die in den Medien größtmögliche Resonanz erzeugen würden. Der Antragsteller wisse, dass ein Bericht über eine erfolgreiche Flucht selbstverständlich ein entsprechendes Echo finden würde, so dass allein dadurch eine hinreichende Motivation beim Antragsteller für eine Flucht gesehen werde.
Zusammenfassend lasse sich feststellen, dass die Ausführung mit Blick auf die Gefahr der Entweichung bei der konkreten Ausführung, einem hochproblematischen Gefangenen zu einer unübersichtlichen Örtlichkeit durchgeführt worden sei.
Offensichtlich hätte sich der Knast etwas besseres einfallen lassen sollen. Das Gericht, augenscheinlich auch darum bemüht, unsere Beiträge zu interpretieren, erwiederte daraufhin am 04.05.21:
Die Darlegungen der Antragsgegnerin vermögen eine solche einfache Gefahr der Entweichung jedoch nicht zu begründen. Dies gilt zunächst für den vorgebrachten Umstand, dass der Antragsteller permanent Beschwerden und Anträge auf gerichtliche Entscheidung schreibe.
Abgesehen davon, dass es dem Antragsteller frei steht, von den ihm nach dem Gesetz zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln Gebrauch zu machen, ergibt sich aus diesem Verhalten für sich genommen kein Anhaltspunkt für eine konkrete Gefahr der Entweichung. Näheres hierzu hat auch die Antragsgegnerin nicht ausgeführt.
Auch die Tätigkeit des Antragstellers bei der Gefangenengewerkschaft und die insoweit veröffentlichten Aufrufe deuten nicht auf eine konkrete Gefahr der Entweichung gerade bei dem Antragsteller am 27.01.2020 hin. Selbst die Formulierung „Deswegen müssen die Knäste geöffnet und die Gefangenen frei gelassen werden.“ lässt diesen Schluss nicht zu. Ihr ist kein Aufruf zur Flucht zu entnehmen. Sie ist zudem derart allgemein und provokant verfasst, dass schon der ernsthafte Glaube der Verfasser an eine realistische Umsetzung solcher Forderungen zu bezweifeln ist.
Weiter trägt auch die Begründung der Antragsgegnerin, der Antragsteller nutze jede Gelegenheit, um der Antragsgegnerin und den dortigen Bediensteten zu schaden und diese in Misskredit zu bringen, nicht die angeordnete Fesselung. Selbst wenn dies der Fall wäre, ist kein Zusammenhang zu einer Gefahr der Entweichung ersichtlich. Dass der Antragsteller nach Auffassung der Antragsgegnerin wisse, dass ein Bericht über eine erfolgreiche Flucht selbstverständlich ein entsprechendes Echo finden würde, was allein als hinreichende Motivation für eine Flucht gesehen werden könne, geht dies ohne weitere Anzeichen nicht über eine rein theoretische und konstruiert wirkende Möglichkeit hinaus.
Schließlich genügt es zur Begründung der Gefahr der Entweichung auch nicht, auf die allgemeinen situationsabhängigen Risiken bei Ausführung, Vorführung und Transport zu verweisen. Denn § 78 Abs. 6 StVollzG M-V setzt unabhängig davon eine Fluchtgefahr voraus. Anderenfalls hätte die Regelung eine Fesselung für jeden Fall der Ausführung, Vorführung oder des Transportes vorgesehen, was aber gerade nicht der Fall ist.
In diesem Beschluss vom 04.05.2021 hatte das Landgericht Rostock im Aktenzeichen 13 StVK 194/20 (3) festgehalten:
1. Es wird festgestellt, dass die Fußfesselung des Antragstellers am 27.01.2020 rechtswidrig war.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers.
3. Der Gegenstandswert wird auf 300,00 € festgesetzt.
Der gesamte Beschluss kann hier nachgelesen werden.
Wahrendessen legte Andreas im Rahmen eines Amtshaftungsprozesses am 10.01.21 Zivilklage (Vorklage) ein, um über Prozesskostenhilfe entscheiden zu lassen. Diese erfolgte auch sehr schnell und seine Rechtsanwältin reichte eine Hauptklage im September 2021 gegen die JVA Bützow ein, aus der wir wie folgt zitieren:
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schmerzensgeldansprüche gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG wegen rechtswidrig ergangener Fesselungen geltend. Die Beklagte hatte mehrfach die Fesselung des Klägers angeordnet, obwohl es hierfür keine Rechtsgrundlage gegeben hat. Der Kläger wurde trotz fehlender konkreter Fluchtgefahren immer wieder gefesselt.
Am 23.03.2022 hatte das Landgericht Rostock im Aktenzeichen 10 O 812/21 beschlossen:
1. Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 300,– € zu zahlen.
2. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 300,00 € festgesetzt.
Damit hat Andreas für diese Fesselung 300,-€ erstritten und das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern muss nun das Geld an Ihn auszahlen. Da es sich hier um ein Schmerzensgeld handelt, kann dies auch nicht aufgerechnet werden.
Wir freuen uns für Andreas über 300 Euro Schmerzensgeld und danken außerdem dem Knast und dem Gericht für den wirklich amüsanten Verlauf.