Am 03.03.20 sollen gegen 14 Uhr sieben verschiedene Brände im Amtsgericht Tiergarten gelegt worden seien. Wir wollen an dieser Stelle weder von Schuld noch von Unschuld sprechen – diese Konstrukte dienen dem Staat lediglich dazu, uns in „gut“ und „böse“ zu spalten,somit zu angepassten und staatskonformen Menschen zu zwingen und die tatsächliche Gewalt, für die der Staat und seine Handlanger verantwortlich sind, unsichtbar zu machen. Damit geht, so auch in diesem Prozess, dementsprechend auch eine Entpolitisierung von (vermeintlichen) Handlungen und Taten einher.
Angeklagt für die sieben Brände ist Kay, welcher wohl am Brandtag im Amtgericht einen Prozess hatte und sich deshalb zum Brandzeitpunkt im Gericht befand. Wir wollen an dieser Stelle Teile des Prozesses, welcher insg. 6 Verhandlungstage umfasste, dokumentieren, weil er aufzeigt, wie die Justiz arbeitet und weshalb wir ihr niemals vertrauen sollten. Der Prozess zeigt in dem Zusammenhang auch, welche faschistischen Methoden Gerichte und all seinen Angestellten nutzen, wie sie Menschen erniedrigen und unterdrücken.
Uns ist durchaus bewusst, dass sich der folgende Text, welcher die politische Dimension des Prozesses darstellen soll, auch dafür genutzt werden kann, die Unschuld des Angeklagten zu beteuern. Trotzdem haben wir uns dafür entschieden, rechtsstaatliche Prinzipien teilweise wiederzugeben (z.B. Thema „Beweise“), um die Argumentationslogik derjenigen, welche einen Glauben an den „Rechtsstaat“ propagieren, zu brechen.
Befangenheit
Schon zu Beginn des Prozesses zeigte sich, dass der Staat, wenn ihm seine eigenen Regeln nicht passen, einfach auf sie scheißt. Wenn Richter*innen, Staatsanwälte oder sonstige Justizknechte innerhalb eines Prozesses dem Angeklagten gegenüber befangenen sein und deswegen parteilich agieren könnten, kann ein Ablehnungsgesuch gestellt werden.
Zwar ist die Parteilichkeit staatlicher Mitarbeiter*innen, wie Justizangestellten, per se gegeben, weil sie immer auf der Seite des Staates stehen. In diesem Fall wurde aber zusätzlich auch noch wegen eines Brandanschlags gegen eben jenes Gebäude verhandelt, in dem alle Prozessbeteiligten tagtäglich arbeiten, in welchem sie am besagten Tag anwesend waren und in welchem nun wiederum der Prozess diesbezüglich gemacht wird.
Wegen dieser Umstände fanden die Anwälte von Kay die Befangenheit der Prozessbeteiligten, vor allem des Staatsanwalts Hennicke, der Richterinnen Wierum und Borth und des Richters Jürcke fraglich. Sowohl Richter*innen, als auch der Staatsanwalt sahen das wenig überraschend anders und bescheinigten sich selbst die genügende Objektivität. Der Prozess wurde also mit Richter*innen und Staatsanwalt durchgezogen, welche am besagten Tag im Gebäude waren und den Tag auch miterlebten.
Zeug*innen
Im Prozess sagten insgesamt mehr als 20 Zeug*innen aus. Alle sind bei der Justiz angestellt und arbeiten im Gericht Tiergarten.
Vorab ist zu erwähnen, dass die meisten Justizzeug*innen Frauen/von uns weiblich Gelesene waren. Vor allem deswegen war es zwar nicht überraschend, aber wieder einmal viel zu offensichtlich, wie patriarchal Gerichte sind. Die Richterin hatte, außer bei einer Zeugin (siehe unten), die ganze Zeit die Autorität über den Ablauf des Verfahrens und Verhalten der Zeug*innen inne. Immer wieder unterbrach sie Justizmitarbeiterinnen bei ihren Aussagen und erklärte ihnen, was sie von ihnen wissen wolle. Lediglich bei einer Person verlor sie die Kontrolle über den Verlauf der Aussage und das Verhalten der aussagenden Person gänzlich – bei einem männlichen Justizmitarbeiter. Dieser betrat den Saal mit seiner „ganzen Männlichkeit“, ging auf die erste Frage der Richterin nicht ein sondern erklärte ihr, dass sie erst einmal klären müssten, wo genau sein Büro liege und trug dann seine Aussage mit einer nun völlig verschwiegenden Richterin vor. Der offensichtliche Kampf zwischen zwei nicht gleichgeschlechtlichen Autoritätspersonen wird mit dem Sieg des Mannes über die Frau beantwortet.
Des weiteren waren, wie bei vielen anderen Prozessen auch, die Aussagen der Justizangestellten geprägt von krassen Erinnerungslücken. Keine*r konnte sich konkret an irgendwas erinnern, jetzige Aussagen passten oft nicht mit den Angaben, die am Tag selbst bei den Bullen gemacht worden sind, zusammen.
Generell hat keine*r der Zeug*innen den*die Brandleger*in gesehen. Die meisten haben nicht einmal einen Brand gesehen. Im Prozess wurde lediglich darüber gesprochen, dass der Angeklagte mit einem Feuerlöscher in der Hand und im Gebäude gesehen wurde. Wobei er wohl manchmal ein rotes, manchmal ein blaues Shirt an hatte, manchmal ohne Aufdruck, manchmal mit dem Aufdruck „Feuerwehr“. Manchmal hatte er eine Glatze, manchmal kurze Haare. Weshalb sie sich trotzdem allesamt sicher waren, dass der Mensch, welcher auf der Anklagebank sitzt der Brandleger war? Die Antwort ist einschlägig:
„Er wirkte komisch“, „nicht normal“, „hatte einen roten Kopf“, „verhielt sich auffällig bei der Einlasskontrolle“, und sagte dort wohl „er habe was gegen Beamte“.
Ganz klar: jemand, der sich „nicht normal“ oder „auffällig“ verhält und der ein Problem mit Beamt*innen hat, muss den Brand gelegt haben. Keine*r hat zwar gesehen, dass er es getan hat, aber alle Zeug*inne sind sich, „aufgrund seines Verhaltens“ trotzdem sicher, dass er es war.
Offensichtlich wird, dass obwohl niemand eine*n Brandleger*in oder den Brand gesehen hat, alle Zeug*innen, aber auch Richterin und Staatsanwaltschaft ihr Urteil über den Angeklagten schon längst gefällt haben.
Wo auf der einen Seite eine krasse Einigkeit darüber herrscht, dass der Angeklagte „schuldig“ ist, streiten sich die Zeug*innen jeweils teilweise mit der Richterin darüber, wie denn das Gericht aufgebaut sei. Bei allen Zeug*innen Aussagen soll beschrieben werden, wo und wann Kay gesehen worden ist. Dabei kommt es immer wieder zu wirren Gebäudebeschreibungen.
Keine*r kann sich so richtig merken, wie das Gebäude, in dem sie tagtäglich arbeiten, aufgebaut ist, wo welches Zimmer, welche Treppe, welcher Aufgang liegt, aber alle wissen, ohne es gesehen zu haben, dass der Angeklagte Brände im Gericht gelegt haben sollen, welche wiederum die meisten auch nicht gesehen haben.
Diesen Teil geben wir nicht wieder, um darüber zu urteilen, wer den Brand gelegt hat und wer nicht. Vielmehr geht es uns darum, aufzuzeigen, dass Menschen auch ohne „Beweise“ auf der Anklagebank sitzen und verurteilt werden können, wenn die Justiz das beabsichtigt. Offenbar haben sich in diesem Fall alle Zeug*innen, aber auch Richterin und Staatsanwalt darauf eingeschossen, Kay zu verurteilen, dementsprechend wird das Verfahren auch geführt. Von einer vermeintlichen Objektivität, von der Gerichte immer faseln, kann nie die Rede sein, weil sie gar nicht beabsichtigt ist. Vielmehr wird offensichtlich, dass die Knastgesellschaft Menschen benötigt, die sie verurteilen kann. Dass der Angeklagte von allen als „nicht normal“ bezeichnet wird soll offensichtlich suggerieren, dass ein Brandleger nur Brände legt, weil er „nicht ganz sauber tickt“. Damit wird die politische Dimension solch einer Tat verleugnet und die Tat auf ein „individuelles Problem“, welches die Gesellschaft dem Individuum zuschreibt, in dem Fall „Abnormalität“, geschoben.
Innerhalb dieses Justiztheaters wird sich dann zwischendurch auch noch ein kleines Duell geliefert. Eine Zeugin ist selbst Richterin im Amtsgericht. Sie hat Kay auch am besagten Tag im Gericht gesehen, aber auch sie sah keinen Brand oder eine*n Brandleger*in. Als sie den Saal betritt und ihre Aussage machen will, ermahnt sie die Richterin des Prozesses, sie solle doch bitte chronologisch erzählen, was sie gesehen habe. Prompt schreckt die Zeugin auf, erklärt der Richterin, dass sie gerade lediglich nach ihrer Zeuginvorladung handeln würde und der interne Grabenkampf zwischen Richterin und Richterin ist eröffnet. Eine halbe Stunde lang kämpfen beide um den Titel „stolzeste Richterin des hohen Gerichts“, pampen sich unentwegt dabei an, ringen darum, wie man so einen Prozess jetzt nun führen sollte. Enden tut dieses ganze Theater mit dem Satz der Zeugin, sie wäre dann aber doch mal glücklich, auch Zeugin sein zu können und nicht immer nur Richterin. „So lernt man ja dann doch, wie schwer das teilweise mit den Erinnerungen ist“. Richterin des Prozesses und der Staatsanwalt lachen, Kay sitzt weiterhin hinter einer Plexiglasscheibe. Seine Emotionen können durch die schwere Scheibe teilweise nur erahnt werden. So viel zur Widerlichkeit der ganzen Nummer.
Die Zeugin, welche selbst Richterin ist, hat übrigens im Prozess auch unbekümmert verkündet, dass sie ihre eigene schriftliche Stellungnahme an Kollegin Reinert weitergegeben hat. Vor der Verhandlung wurden also Dokumente über die jeweiligen Aussagen ausgetauscht. Nach geltendem Recht ist das rechtswidrig, aber, wen wunderst – die Richterin nickt die Tatsache einfach ab, lässt sie kommentarlos stehen. Ebenfalls wird nicht darüber gesprochen, dass fast alle Zeug*innen selbstbewusst verkünden, sie hätten sich über ihre Aussagen im Kollegium abgesprochen.
Auch, wenn die Tatsache, dass der Staat seine eigenen Regeln bricht, wenn sie ihm nicht passen, wenig verwundert, sollte es doch immer wieder erschreckend sein, wie selbstbewusst er dahinter steht und nicht einmal versucht zu verleumden, dass er rechtswidrig handelt. Offenbar fehlt jegliche Angst vor einer protestierenden Öffentlichkeit.
In dem Zusammenhang war auch die Aussage eines Zeugen, welcher als Sanitäter am besagten Tag in das Gericht ging, um eventuell Brandgeschädigte zu versorgen, interessant. Als er ankam, hockte Kay wohl auf dem Boden. Vor Ort sagte man ihm, dass Kay versucht habe, das Feuer zu löschen. Er versorgte Kays Wunde und hörte dann von hinten jemanden, in Richtung zu Kay und dem Sanitäter rufen: „das ist ein Angeklagter!“. Wie schnell so eine Anklage doch passieren kann…..
Der Angeklagte
Während des Prozesses machten die Zeug*innen immer wieder deutlich, dass sie den Mann, der jetzt auf der Anklagebank sitzt und dem sie am 03.03 gesehen haben wollen, völlig „unnormal war“. Teilweise wird er verwirrt beschrieben, teilweise auch dämonisiert. Ein Justizzeuge sagte sogar, er wäre „nicht menschlich“ gewesen.
Der Zeuge Guido Puhr will beispielsweise will auch gesehen haben, wie Kay sich „seinen Rucksack und seine Jacke vom Leibe riss“. Dabei sagt er, dass er „sooooooo einen dicken roten Schädel gehabt hätte“. Als er von der Richterin aufgefordert wird, die Person, die er gesehen hat, zu beschrieben, sagt er : „Naja ich habe ihn ja jetzt beim reinkommen gesehen, da sitzt er.“ Die Richterin ermahnt ihn daraufhin, in seiner schriftlicher Aussage stünde aber, das er einen Mann mit kurzen schwarzen Haaren gesehen habe. Puhr darauf: „Ja naja, aber jetzt seh ich den Angeklagten da ja… das ist er.“
Außerdem erzählt er, Kay habe mit einem Feuerlöscher „um sich geschlagen“. Weiter phantasiert er: „wer weiß was passiert wäre, wenn ich mich ihm in den Weg gestellt hätte“. Was dann passieren hätte können formuliert er nicht, ebenso auch nicht, wie er auf die Idee kommt, dass überhaupt etwas hätte passieren können. Offensichtlich ist aber, dass im Gericht der Eindruck entstehen soll, bei Kay handle es sich um einen bösartigen Mann, dementsprechend kann er auch Brände legen. Die Richterin toppt diesen Eindruck dann mit der Ankündigung, es würde jetzt auch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verhandelt werden. Begründet wird diese mit einer leichten diagnostizierten Rauchvergiftung des Handwerkers, welcher ein Schmerzensgeld fordert. Aus der gefährlichen Körperverletzung versucht dann der Staatsanwalt, eine schwere Körperverletzung zu konstruieren.
Fast alle Zeug*innen betonen während des Prozesses immer wieder, dass sie von dem Geschehen „traumatisiert wären“. Die größte Motivation für diese Aussage scheint das ersehnte Schmerzensgeld oder der bezahlte Urlaub, allerdings geht damit auch das Bild eines bösen Brandstifters einher, welcher dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass es anderen schlecht ginge.
Schlussendlich bekommt man während des Prozesses ebenfalls das Gefühl, als würde nicht nur eine Brandstiftung verhandelt werden, sondern auch der Ost- Westdeutsche Konflikt. Immer wieder wird betont, Kay komme aus dem Ostdeutschen Raum und habe polnischen Bezug. Auch die Geschichte der Familie (siehe unten) in Ostdeutschland wird aufgemacht. Jedes Mal, wenn das Wort „Osten“, „Polen“ oder „DDR“ fällt, verändert sich schlagartig die Stimmung im Saal. Kritische und verachtende Blicke der Richterin und des Staatsanwaltes gehen mit einer Atmosphäre einher, die den Zuhörer*innen vermittelt „es spricht nicht für ihn, dass er aus den Osten kommt, das wirkt sich negativ für ihn aus“. Unverhohlen zeigt sich die Klassenjustiz.
Wir wollen kein Bild eines für den Staat „guten“ Menschen zeichnen, damit für seine Unschuld plädieren und die Spaltung zwischen gut und böse weiter vorantreiben. Aber wir wollen aufzeigen, wie der Staat offensichtlich diese Kategorien nutzt und reproduziert. In diesem Fall gilt ein (vor allem ostdeutscher) Brandstifter als etwas böses, die Mitarbeiter der Justiz sind offensichtlich die guten. Diese staatliche Ordnung wird im Laufe des Prozesses immer wieder wiederholt, was letzten Endes dazu führt, dass in dieser Gesellschaft alle, welchen vorgeworfen wird, geltende Gesetze zu brechen, als „böse“ markiert und von der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Wenn wir damit brechen wollen, müssen wir den Kategorien entweder den Kampf ansagen, und/oder sie selbstbestimmt für uns nutzen.
Kameraüberwachung im Haus?
Die Diskussion um eine Kameraüberwachung begann innerhalb des Prozesses auffällig spät. Erst beim letzten Verhandlungstag wurde ausführlich darüber gesprochen, ob es Kameraaufnahmen vom Brandtag gäbe und inwiefern sie miteinbezogen werden können. Leider wissen wir bis heute nicht, ob es Aufnahmen vom Tag, bzw. generell eine Kameraüberwachung im Gericht gibt. Klar ist aber: entweder wird das gesamte Gebäude nicht videoüberwacht, es wurden innerhalb des Prozesses Aufnahmen zurückgehalten oder das gesamte verfahrensgegenständige Geschehen nicht aufgenommen.
Am vorletzten Verhandlungstag wurde von einem Zeugen ausgesagt, die Kameras im Altbau würden nicht funktionieren, sie wären lediglich eine Attrappe.
Beim letzten Verhandlungstag hieß es zunächst, es dürfe aus Sicherheitsgründen keine Angaben zu den Kameras im Hause gemacht werden. Die Anwälte des Angeklagte sagten hingegen, dass man Kameras im Gericht sehen würde und man diese Tatsache doch nicht ignorieren könne. Daraufhin wurde ein Beweisantrag gestellt. Es folgen mehrere Unterbrechungen des Verhandlungstages.
Während einer dieser Pausen rief die Richterin bei den nach ihrer Meinung nach Zuständigen an und fragte, ob es von diesem Tag Aufzeichnungen gäbe. Wichtig: sie fragte nicht, ob es Kameras im Gericht gäbe, sondern nur, wenn es welche gäbe, ob diese etwas aufgezeichnet hätten. Diese Frage wird von „allen zuständigen Seiten verneint“. Den Anwälten des Angeklagten reichten diese Aussagen nicht aus. Sie sagten, ein Zeuge hätte während des Prozesses wohl gesagt, dass es aktive Kameras gäbe. Wenn dies so wäre, stelle sich doch die Frage, wo die Aufzeichnungen sind. Die sogenannten „Zuständigen für die Frage“ werden vor Gericht gerufen.
Nach dem Vizepräsident des Landesgerichtes betreibe das Landesgericht keine Kameraanlagen im Haus. Der Oberstaatsanwalt Michael von Hagen bestätigt diese Aussage und sagt dazu, die sichtbaren alten Kameras stammen noch aus „Terrorzeiten der RAF und Bewegung 2.Juni“, wären wohl aber inaktiv. Sabine Emmrich, Vizepräsidentin des Amtsgericht Tiergarten hingegen teilte mit, sie dürfe zu der Frage aus Sicherheitsgründen keine Angaben machen. Gleichzeitig sagte sie, es gäbe von dem Tag keine Videoaufzeichnungen oder Live-Bilder, auch wurde wohl keinerlei Material von diesem Tag jemals gelöscht oder überschrieben – es existiere also einfach kein Material.
Unklar bleibt, ob es Kameras im Haus generell gibt. Falls es welche geben sollte bleibt unklar, warum es ausgerechnet von diesem Tag keine Aufzeichnungen gibt. Entweder wurden keine Aufzeichnungen angefertigt, oder sie wurden verschwunden.
Es folgt die Frage der Anwälte von Kay, wann denn überhaupt nachgeprüft wurde, ob es Material gibt. Daraufhin erklärte sie, dass sie heute das erste Mal speziell mit dem einen Menschen aus der Alarmzentrale darüber gesprochen hätte, das Thema wohl aber im Allgemeinen schon früher aufkam, als es um die Aussagegenehmigungen der Wachtmeister ging. Unklar bleibt dabei aber, wann irgendjemand sich um die eventuell vorhandenen Kameraaufzeichnungen gekümmert hat.
Ein Anwalt von Kay fragt außerdem nach der an dem Tag nicht funktionierenden Brandanlage, weil diese wohl, nach Angaben eines Zeugen, beim ersten Versuch, sie auszulösen, versagte. Am besagten Tag haben dementsprechend, laut Aussagen der Justizzeug*innen, weder eventuelle Kameras etwas aufgenommen, noch ein Wachtmeister Livebilder gesehen, außerdem funktionierte auch die Brandanlage nicht sofort. Der Anwalt kommentiert das mit einem „komischen Zufall“.
Auf seine Frage, wann die Brandanlage das letzte Mal überprüft worden sei, weiß die Vizepräsidentin auch keine Antwort. Anstelle dessen fällt ab nun oft ein anderer Name: Herr Killer soll wohl der eigentliche Ansprechpartner für die Anlage sowie des Sicherheitskonzeptes sein, Emmrich sei nur Ansprechpartnerin nach außen. Und obwohl öfter wiederholt wird, dass dieser Mann wohl wissen könnte, was mit der Technik an dem Tag los war, wird er von der Richterin nicht geladen.
Darüber offensichtlich wütend, betont ein Anwalt von Kay, dass diese ganzen „komische Zufälle“ vielleicht durch den Hr. Killer erklärt werden könnten – woraufhin die Richterin sich darüber aufregt, dass der Anwalt offensichtlich den Aussagen der Justiz, alles wäre an dem Tag defekt oder nicht vorhanden gewesen, misstraue – denn der Justiz darf man natürlich nicht vorwerfen, nicht die Wahrheit zu sagen.
Es geht uns nicht darum, die Aufzeichnungen des besagten Tages einzufordern und damit Kays „Unschuld zu beweisen“, auch wollen wir nicht Ermittler*innen spielen. Allerdings zeigt dieses Beispiel sehr deutlich, dass offenbar keine Zweifel an der Justiz gehegt werden dürfen, sonst antwortet diese mit Schellen. Videoüberwachung ist in dieser Gesellschaft derart zum (Ermittlungs)Standard geworden, dass es natürlich verwundert, wenn die Justiz diese auf einmal verschweigt oder eben nicht ranziehen will. Der Anwalt, welcher eben diese Verwunderung äußerte mit dem Kommentar, er fände das einen „komischen Zufall“, bekommt nicht eingeräumt, dass nun in diese Richtung ermittelt werden muss, sondern einen fetten Anschnauzer.
Ob es nun keine Kameraüberwachung und Brandschutzanlagen gibt, oder ob einfach alles an dem Tag im Haus defekt war, wissen wir nun immer noch nicht. Der angebliche Zuständige Killer wurde nicht mehr geladen, das Thema offenbar abgehackt mit der Fußnote, man müsse eben der Justiz vertrauen, dass es keine Aufzeichnungen gäbe.
Wir wollen schlussendlich noch einwerfen, dass das Verschweigen über die Überwachung höhere Priorität hatte, als die Aufklärung über die Frage, ob es eine Kameraüberwachung und dementsprechend irgendwo Material von dem Tag gibt. Offensichtlich versucht die Justiz diese Frage zu umgehen. Wenn man bedenkt, dass sich der Tatvorwurf auf ein staatliches Gebäude bezieht, verwundert es dann auch uns, dass der Ermittlungseifer der Behörden nicht größer ist. Daraus kann nur gefolgert werden, dass es für den Staat ein schützenswerteres Gut gibt, als die Ermittlungen in dieser Sache.
Psychologisches Gutachten – Diagnostik auf Grundlage der Nazizeit
Am letzten Verhandlungstag wollte dann offensichtlich auch noch ein Psychologe aus dem Maßregelvollzug was zu sagen haben. Er habe Kay wohl über seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft befragt und somit ein psychiatrisches Gutachten erstellt. Im Vorfeld war fraglich, ob Kay, sollte er verurteilt werden, in den Knast oder in den Maßregelvollzug einwandern solle.
Die Kurzfassung, was das für die Betroffenen bedeutet, geht so: Menschen werden auf widerliche Weise psychiatrisiert, jedes kleine „Fehlverhalten“, wobei das Verhalten meint, welches nicht zu einer Neoliberale Leistungsgesellschaft passt, wird diagnostiziert und der betroffene Mensch für „gestört“ oder „krank“ erklärt. Wenn dieser Mensch dann eine rechtswidrige Tat begeht, kann er*sie in den Maßregelvollzug gesteckt werden. Maßregelvollzug ist Knast, nur mit dem Unterschied, dass man hier erst wieder raus kommt, wenn das Personal vom Maßregelvollzug der Meinung ist, der Gefangene wäre „geheilt“. Ergo: Zwangsbehandlung, Einsperrung, Folter und Isolation sind an der Tagesordnung, manche kommen nie wieder raus.
Herr Dr. Thorsten Seelig ist der Mitarbeiter eines solchen Systems und hat seine „psychiatrische Analyse“ des Angeklagten während des Prozesses vorgetragen. Er hatte Kay wohl dreimal im Knast besucht und war jetzt der Meinung, über sein Leben komplett im Bilde zu sein und es vortragen zu müssen. Wir geben diesen Teil des Prozesses nicht detailliert wieder. Zum einen, weil es total abartig war, ein ganzes Leben eines Menschen von einer Drittperson zu hören, die sich selbst für den Größten hält und der Meinung ist, das Recht zu haben, über ein gesamtes Leben zu plaudern, von dem er selbst keine Ahnung hat. Zum anderen wurde der Angeklagte dermaßen psychiatrisiert und für „gestört“ verkauft, das der gesamte einstudierte Vortrag des Psychologen offensichtlich eine Erniedrigung des Angeklagten zum Ziel hatte.
Vielleicht nur so viel: Die Sozialisation und das Verhalten als Kind, Beziehungen zu Eltern, deren Leben ebenfalls dargestellt wurde, jedes Verhalten von Kay wurde komplett auseinander genommen und jede Emotion, welche nicht der neoliberalen Leistungsgesellschaft entspricht, als „schlecht“ erklärt. So könne der Angeklagte keine „Fehler eingestehen, weil er sein eigenes Handeln stetig rechtfertige“. Er wäre außerdem „zornig und Empfindsam gegenüber Begrenzungen und Fremdbestimmungen“. Er könne es auch nicht leiden, wenn „seine Autonomie in Gefahr gerate“. Kay habe dem Psychologen wohl gesagt, er hätte eine soziale Ader, was dieser wiederum als Narzismus hochstilisiert. Kay hätte wohl ebenfalls gesagt, dass er keine Lust auf Knast hat und seine Freiheit schätzt, woraus der Psychologe schließt, dass er Begrenzungen missachten würde. Schlussendlich hätte der Angeklagte wohl gesagt, dass er auch ab und an mal Alkohol trinke. Bei seiner Festnahme sei wohl kein Alkoholtest gemacht worden, allerdings acht Stunden später und da hätte er 0,2 Promille gehabt. Darauf schließt der Psychologe, er hätte auch ein Akoholproblem.
Am Ende seines einstündigen Vortrages erklärt Thorsten Seelig dann, der Angeklagte wäre vermindert schuldfähig, weil er alkoholisiert beim Tatzeitpunkt gewesen wäre, weil er beim Tatzeitpunkt emotional instabil war aufgrund seines eigentlichen Prozesses an dem Tag im Gericht und „aufgrund seiner allgemeinen Persönlichkeitsanteile“, die er zuvor vortrug.
Zum einen einfach nur widerlich, wie sich hier von Hr. Seelig rausgenommen wird, nach drei Treffen mit Kay über sein Leben plaudern und entscheiden zu dürfen, zum anderen auch wieder offensichtlich, dass auch er Kay offensichtlich schon längst schuldig gesprochen hat.
Fazit
Wir haben den Prozess detaillierter wiedergegeben, weil er sehr gut die Willkür und gleichzeitige Parteilichkeit der Justiz und ihre widerlichen Methoden darstellt.
In Kays Prozess gibt es keinerlei Beweise dafür, dass er den Brand gelegt hat. Trotz dessen beharren alle Beteiligten darauf, dass er es war. Gleichzeitig wird eine Videoüberwachung, wenn es sie gibt, gezielt nicht herangezogen. Es gab auch keine weiterführende Form von Ermittlungen, keine Suche nach Fingerabdrücken, Fußspuren oder DNA. Wo sonst, vor allem bei einem Angriff auf staatliche Institutionen, hoher polizeilicher Ermittlungseifer mit allen verfügbaren Mitteln vorherrscht, geht es in diesem Prozess lediglich darum, einfach nur irgendwen wegzuknacken, um das Thema vom Tisch zu haben. Dafür wird Kay dämonisiert und zu einem „abnormalen“ Menschen mit „psychiatrischen Störungen“ erklärt, damit das Bild eines „bösen Brandstifters“ auch passt.
Wir wollen noch einmal betonen, dass es uns nicht darum geht, zu beurteilen, wer schuldig ist und wer nicht. Uns ist bewusst, dass sich dieser Prozessbericht teilweise so lesen könnte, allerdings war es uns wichtig, die Absurdität und Widerlichkeit des Prozesses, des Gerichtes und damit des Staates und gleichzeitig die politische Dimension aufzuzeigen, in welcher sich der Prozess bewegt.
Schlussendlich denken wir, dass aus dem Prozess viel gelernt werden kann. Auch, wenn wir nicht wissen, was die Justiz konkret schützen will und weshalb sie deshalb nicht so eifrig ermitteln will, wie sie es sonst tut, zeigt der Prozess, dass es in erster Linie darum geht, den Staat zu schützen als im Sinne der Angeklagten zu handeln. Beispielhaft ist dafür die Kameradiskussion. Bewusst wird an dieser Stelle seitens der Staatsmitarbeiter*innen geschwiegen, um offensichtlich „das Sicherheitskonzept des Gerichtes“, also die fehlende Überwachung im Gericht, oder (in dem Fall es gäbe Aufnahmen, die nicht herausgegeben werden) den Tatvorgang, der sich im Gericht abspielte, zu schützen. So oder so, es geht um den Schutz der Justizmitarbeiter, des Gerichtes, des Staates.
Wir lernen aus dem Prozess auch, dass es sehr leicht ist, auf der Anklagebank zu landen. Der Gedanke „ich mach ja nichts rechtswidriges, deswegen kann ich zum Beispiel jedem, sei es Unternehmen oder dem Staat, meine Daten weitergeben, mich überwachen lassen und plaudern“ ist ein absoluter Trugschluss. Kay hat während des gesamten Prozesses zwar die Aussage verweigert, allerdings wurde offensichtlich, dass ihm sein Gespräch mit dem Psychologen nur zum Nachteil ausgelegt worden ist. Durch die gesamte Dämonisierung, sei es durch die Justizzeug*innen oder durch den Psychologen, soll offensichtlich demonstriert werden, dass jemand, der ein staatliches Gebäude angreift, automatisch ein „Unmensch“ und „psychologisch gestört“ sein muss. Die politische Dimension, welche hinter solch einen Angriff steht, wird damit gänzlich verleugnet und der „böse Mensch“ (= schuldige Mensch) gezeichnet, welcher gesellschaftlich verachtet werden soll.
Deswegen steht dieser Prozess auch beispielhaft für die Anatomie der „gut/böse“ Konstruktion und deren Folgen. Beweise hin oder her, es reicht aus, ein Bild von einem Menschen herbei zu labern, das die autoritären gesellschaftlichen Abneigungen bedient (alkoholisiert, „psychisch gestört“, kein Fan des Staats) um diesen Menschen zu entfernen. Das bedeutet auch, es reicht offensichtlich aus, aufgrund ebenjener Gründe in den Knast gesteckt zu werden.
Schlussendlich zeigt uns dieser Prozess somit, dass wenn sie einen Zusammenhang finden wollen, sie ihn finden werden. Wenn sie jemanden verknacken wollen, werden sie es tun. Vor widerlichen Methoden schrecken sie dabei nicht zurück, im Gegenteil.
Repression und Staatsgewalt betrifft uns alle. Deswegen müssen wir uns auch gemeinsam gegen sie wehren. Anfangen können wir damit, ihre Kategorien und ihr Wertesystem zu brechen, indem wir ihrer Logik nicht folgen. Weitermachen können wir damit, den Staat konsequent anzugreifen und die Taten im politischen Kontext zu benennen und zu verbreiten.