Prozessbericht – und erklärung vom 07.01.21 – Diebstahl


Am 07.01.21 wurde einer Person der Prozess gemacht, weil ihr vorgeworfen wurde, im Wert von fast 50 Euro geklaut zu haben. Im Vorfeld wurde ihr „angeboten“, das Verfahren gegen eine Geldstraße von 150 Euro einzustellen, was sie zweimal ablehnte und es somit auf den Prozess ankommen ließ.

Zunächst stellte die Anwältin der Angeklagten einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens, da es lediglich um 50 Euro ginge, woran die Öffentlichkeit kein Interesse hätte. Daraufhin plusterte sich die Staatsanwältin auf und meint „das ist hier keine Kleinigkeit von 2,50 Euro, es geht um fast 50 Euro, das ist im Interesse der Öffentlichkeit!“. Es folgt die Prozesserklärung der Angeklagten (siehe unten), in welcher sie vor allem auf die aktuelle autoritäre Politik innerhalb der Pandemie eingeht und ihren Prozess in eben dieser einordnet. Nachdem diese verlesen wurde, erklärt die Angeklagte, dass sie aus den Gründen, welche aus der Prozesserklärung hervorgehen, nun den Saal verlassen wird und geht.

Nun wird der Secu-Zeuge aufgerufen. Nach seiner Belehrung fragt er die Richterin, worum es hier überhaupt gehen würde. Die Richterin erklärt ihm, dass der Prozess wegen eines Diebstahl Vorwurfes geführt würde, woraufhin der Zeuge betont, wie viele Leute er doch festnehmen würde, er könne sich an nichts mehr von dem Tag erinnern.

Anstatt es dabei zu belassen, entschließt sich die Richterin dazu, dem Secu ein bisschen Futter zu liefern: „Wenn Sie keine Erinnerungen haben, müssen wir uns eben vorarbeiten.“ Der Secu erklärt dann, dass es in der Karl-Marx-Straße passiert sei, da sei ja sein Arbeitsplatz. Die Richterin gluckst auf. Sie freut sich, dass er sich nun doch offensichtlich (an seinen Arbeitsplatz!) erinnern kann. Der Secu fragt nun, ob es um „die beiden Herren da draußen“ gehen würde. Die Richterin erwidert mit „Nein es geht um eine Dame, soviel kann ich ihnen verraten.“ Der Secu überlegt eine Weile, sagt dann aber wieder, dass es zu lange her wäre, er könne sich an nichts erinnern. Die Richterin gibt wieder Futter: „Ich gebe ihnen ein Stichwort: Jacke.“

Nachdem auch das nichts brachte und der Secu immer wieder, über mehrere Minuten beteuert, er könne sich an nichts erinnern, versucht die Richterin ihm noch aus dem von ihm geschriebenen Protokoll einiges zu entlocken – und scheitert.

Fazit: das Verfahren wird eingestellt, ohne Zahlung. Oder mit den Worten der Richterin: „Na das hat sich ja gelohnt…“.

Zum einen bestätigte sich die politische Einordnung des Prozesses in der vorgetragenen Prozesserklärung der Angeklagten, zum anderen denken wir ist es für Diebstahlprozesse generell von Vorteil, beim Prozess, jedenfalls wenn der*die Secu-Zeug*in geladen wird, nicht anwesend zu sein. Secus haben wahrscheinlich in der Regel meist zu viele Fälle, um sich an alle Festgesetzten oder Festgenommenen erinnern zu können.
Diebstahlprozesse politisch zu führen ist nicht nur aus einer linksradikalen Perspektive sinnvoll, sondern kann auch juristisch vom Vorteil sein.

Prozesserklärung:

Ich wurde heute hier zum Gericht geladen, weil ihr gehört habt, dass ich wohl etwas strafbares begangen haben soll. Ihr seit heute hier, weil ihr über mich urteilen, die Richterkeule schwingen und mich bestrafen wollt. Ich bin hier, weil ich eben diesen Prozess nicht kommentarlos stehen lassen will.

Wenn man sich anschaut, um was es hier heute geht, was mir vorgeworfen wird, dann sollten selbst diejenigen, welche an diesen Staat glauben und keine Zweifel an seiner Gerechtigkeit haben, den Kopf schütteln. Wegen vorgeworfenen 50 Euro Diebstahl wird hier ein Aufriss gemacht, der vor allem angesichts der derzeitigen Pandemie wahnsinnig erscheint.

In einer Zeit, in welcher der Staat eigentlich betont, wie wichtig es doch sei, Kontakte zu vermeiden, da kommt ihr auf die Idee, weiterhin Prozesse zu führen. In einer Zeit, in der Prozesse auch schon abgesagt worden sind, damit nicht zu viele Menschen in einem Raum verbringen und es nicht noch mehr Gefangene gibt. In einer Zeit, in der der Staat sogar schon einmal Gefangene entlassen hat – da ruft ihr Leute in dieses Gericht, um neue Gefangene zu schaffen.

Offensichtlich wird daran, dass die Ansagen, neuen Regeln und Gesetze des Staates offensichtlich nicht darauf ausgelegt sind, uns vor dem Virus zu schützen. Eure Verteidigung ist nicht die Gesundheit und das Wohlergehen aller. Eure Verteidigung ist die des Kapitals.

Egal was passiert, komme was wolle, und selbst wenn es ein Virus ist, der tödlich enden kann: wenn sich Menschen den Regeln des Kapitals widersetzen, hat das für euch die höchste Priorität. Dann heißt es wie heute hier, dass ihr die Sache verfolgt, über Menschen urteilt, sie bestrafen und im besten Fall in den Knast stecken wollt.

Deswegen ist es auch kein Zufall, dass die meisten Menschen, die sitzen, diejenigen sind, die keine Kohle in der Tasche haben. Es sind die Armen, die weggesperrt werden, weil sie sich nicht an die herrschende kapitalistische Ordnung gehalten haben. So kommt es, dass Menschen derzeitig wegen Diebstahlvorwürfen wie z.B. 1 Bund Rosen und ein Joghurt, oder 170 Tafeln Schokolade, oder eine Zeitung, ein Paket Sushi, einen Käse und zwei Bier, im Knast verharren müssen.

Natürlich sind all diese Menschen laut ihren Pässen keine Deutschen – denn ihr verknackt am liebsten nicht nur diejenigen, welche sich der Logik des Kapitals widersetzt haben, sondern auch gerne die, die ihr als nicht weiß oder deutsch anseht. Das ist auch nur logisch, denn Kapitalismus funktioniert nicht ohne weitere Unterdrückungsmechanismen, wie in diesem Beispiel der Rassismus. Ihr kreiert das Bild eines bösen, gewaltvollen Menschen: und „zufälliger Weise“ ist dieser dann meist Arm und/oder nicht weiß oder deutsch.

Mit diesem Bild schafft ihr derzeitig wunderbar, dass faschistische Ideologien wieder lauter werden und dass rassistische Gewalt tagtäglich mithilfe vom Staat unbehindert stattfindet. Die AfD, deren Mitglieder zu hohen Anteil aus ehemaligen Staatsdienern wie ihr es seit besteht, hat es auch durch euch geschafft, an die Spitze zu wandern. U.a. durch eure stetigen Bilder der „kriminellen Ausländer“, der Bösen und Unternemenschen können sie ihre Propaganda verbreiten. Derzeitig arbeiten sie fleißig daran, Corona zu verleugnen und so zu tun, als gäbe es kein Virus – aber was erzähle ich euch, das tut ihr ja mit jedem weiteren Prozess, den ihr führt, und jeden weiteren Gefangenen, den ihr gefangenen haltet, ebenso.

Die Situation für Gefangene ist dabei vor allem in diesen Zeiten beispielhaft dafür, wie diejenigen, die euch wirtschaftlich am wenigsten interessieren, unter eurer Herrschaft leiden müssen. Das, was ihr Quarantäne nennt, bedeutet im Knast krasseste Isolation, die körperlich und psychisch kaputt machen kann. Keine Kontakte mehr nach außen, zur Familie, Freunden, Angehörigen, Verwahrung in der Zelle bei gleichzeitiger fehlender medizinischer Versorgung, wenn doch jemand erkrankt. Die Wärter*innen im Knast wiederum folgen eurem Beispiel und beweisen sich ebenfalls als Coronaleugner*innen. Weder tragen sie Mund-Nasenschutz, noch halten sie Abstand zu den Gefangenen – gleichzeitig sind sie die einzigen, die das Virus in den Knast schleppen können – denn die Gefangenen haben ja bekanntlich keinen Kontakt mehr, außer zu sich selbst.

Nun ist es gekommen, wie es kommen musste: in den ersten Berliner Knästen ist Corona ausgebrochen. Die Konsequenzen bekommen die Gefangenen zu spüren – sie werden, neben ihrer Verwahrung im Knast, mit der derzeitigen Isolationshaft und Abriegelung Formen der Repression ausgesetzt, welche zwar nicht brandneu, in Zeiten der Pandemie aber massiver und beschleunigter von euch eingesetzt werden.

Und obwohl ihr Gefangenen schon genug genommen, ihrer Freiheit, Selbstbestimmung Familien, Freunden und Angehörigen beraubt habt, müsst ihr natürlich noch eins drauf setzen. Es reicht euch nicht, sie zu isolieren und mundtot zu machen und Besuche zu verbieten: selbst Symbole wie Feuerwerke vor den Knästen sind euch so sehr zuwider, dass ihr euch nicht zu schade wart, an den Neujahrestagen ein Feuerwerk- und Aufenthaltsverbot vor dem Knast in Moabit zu verhängen. Der Platz ist nicht unbedingt dafür bekannt, Anlaufstelle für die Moabiter Kiezler zu sein – sondern bei euch auf dem Radar, weil dort immer wieder solidarische Menschen den Gefangenen mittels Feuerwerk Grüße über die kalten Mauern senden. Das euch das nicht passt, wundert nicht, zeigt es doch nur eure menschenverachtende, autoritäre, faschistische Politik.

Natürlich kommt ihr nicht auf die Idee, die Gefangenen frei zu lassen. Während im ersten Lockdown noch ein paar raus durften, weil ihr Angst vor einem Aufstand in den Knästen hattet, hat euch diese Zeit gelehrt, wie ihr Aufstände noch besser unterdrücken könnt, als eh schon. Dieses Wissen habt ihr euch draußen und drinnen geholt – und seit nun fleißig dabei, es anzuwenden. Ob gegen Gefangene, Prekarisierte, Frauen, Trans* oder Interpersonen, Erwerbslose, Obdachlose, Migrant*innen, People of Color, schwarze Menschen, Menschen, die von euch als „behindert“ gebrandmarkt wurden oder Revoltierende – die Unterdrückten und Rebellierenden spüren eure Repression derzeitig so sehr, wie schon lange nicht mehr.

Ich würde gerne sagen, dass ich diesen Prozess hier nicht ernst nehmen kann, dass das alles hier absolut lächerlich ist, jemanden wegen 50 Euro auf biegen und brechen verknacken, oder mindestens bestrafen zu wollen.

Aber leider muss ich es ernst nehmen. Wegen euch werden Arme für ihre Armut bestraft, welche wiederum von dem Staat, den ihr verteidigt, produziert wurde. Wegen euch werden Menschen wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Identität bestraft, welche wiederum von dem Staat, den ihr verteidigt, konstruiert und als minderwertig klassiert wurde. Wegen euch werden Menschen aufgrund ihrer Sexualität oder ihres Geschlechts bestraft, welche wiederum von dem Staat, den ihr verteidigt, konstruiert und psychiatrisiert wurde.

Ihr seit die Handlanger eines immer mehr offenkundig werdenden faschistisch autoritären Staates – und damit ebenso wie er Feinde aller freiheitsliebenden Menschen.

Deswegen habe ich mich dazu entschieden, heute diesem Prozess kurz beizuwohnen und diese Worte an euch zu richten, aber vor allem mich auf euer Spiel, dass ihr heute wie jeden weiteren Tag spielt, nicht einzulassen. Eure Konstrukte von Schuld und Unschuld sind nicht dafür da, Gerechtigkeit zu schaffen – sie dienen euch lediglich dazu, die herrschende kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten, alle dagegen Revoltierenden zu unterdrücken, Menschen zu kriminalisieren, sie soweit an den Rand der Gesellschaft zu drängen, bis sie entweder nichts mehr zu melden haben, komplett isoliert sind oder, wie die unzähligen rassistischen Morde durch Bullen und Justiz beweisen, von euch getötet werden.

Deswegen werde ich mich weder auf diese Konstrukte, noch auf ein Gespräch mit euch einlassen. Das, was ihr hier in diesem Gerichtssälen tagtäglich tut ernst zu nehmen bedeutet, euch als Feind aller freiheitsliebenden Menschen zu begreifen, euer Gericht und eure Ordnung nicht anzuerkennen, weder mit euch zu reden, noch euch jemals die Hand zu erreichen.