Von Moabit nach Wulkow: „Die Waffen der Inhaftierten sind nun mal ein Stift und Papier.“

Heute der letzte Teit der Serie „von Moabit nach Wulkow“. Die Eltern von Kay schildern sehr offensiv ihre Gefühle aus der Zeit, in der Kay in Moabit sitzen musste – was es bedeutet, eingepserrt zu sein, was es bedeutet, den Sohn nicht mehr sehen zu können, was Angehörige fühlen und wie sich der Knast auf Beziehungen auswirken kann. Und was es bedeutet zu kämpfen.

Letztes Jahr im März wurde unserem Sohn die Freiheit genommen. Ab sofort entschieden andere Menschen für und über ihn. Einen normalen Alltag gab es für ihn und auch für uns nicht mehr. Ab sofort ein fremdbestimmtes Leben für den Sohn.

Die Welt, wie wir sie kannten, war zerstört.

Wir lebten aneinander vorbei und jeder von uns staunte nur, was ein Elternteil doch so aushalten kann und muss. Wir versuchten für unseren Sohn stark zu bleiben. Aus unserer Verzweiflung entwickelte sich zum Glück sehr schnell Wut und Hass. Vertrauen in die deutsche Justiz war und ist unendlich zerrüttet und wird in diesem Leben nicht mehr zu kitten sein. Wir wollen es auch nicht!

Er musste sich jeden Morgen bei uns melden, damit wir wussten er lebt noch. Makaber, aber in diesem Knast leider zur Routine geworden. Ich beendete den letzten Anruf immer mit den Worten: “ Pass auf dich auf!“

Die Insassen nennen die morgendliche Runde der Schlusen „Lebendkontrolle“, lass ich mal so unkommentiert stehen. Gedanken sind frei.

Wir suchten uns zeitnah zuverlässige Ansprechpartner und fanden sie in Criminals for Freedom. Dort bekamen wir sehr schnell freundliche, solidarische und aufmunternde Worte. Ab diesem Zeitpunkt war uns klar, wir gehen den steinigen Weg gemeinsam und fühlten uns angenommen und wohl. Wir sind die Generation die sich schon immer behaupten und für alles kämpfen musste. Die Chemie stimmte und wir legten los.

Zu wissen, dass unser Sohn nun 23 Stunden am Tag in einer verschlossenen Zelle überleben muss, war für uns kaum auszuhalten. Sehr schnell kam die hässliche Fratze der Justiz und seinen Handlangern zum Vorschein.

Viele reden zur jetzigen Zeit über die Einschränkungen der Grundrechte, dabei wissen die Wenigsten, dass es diese für die Inhaftierten im Knast kaum noch gibt. Diese Freiheiten leben die Mitarbeiter der JVA nach ihrem eigenen Ermessen aus. Sprich sie haben einen Freibrief um die Gefangenen zu sanktionieren, willkürliche repressive Maßnahmen an den Tag zulegen. Ermessensspielraum nennen sie es. Viele seiner Briefe wurden vernichtet und seine Vormelder, die er schrieb waren spurlos verschwunden. Teilweise sogar mit Ansagen der Schlusen. Wer der deutschen Sprache nicht mächtig war und ist, hat sowieso verloren. Es wird und wurde im Knast geschlagen, gefoltert und im schlimmsten Fall verlieren die Gefangenen ihr Leben.

Er fing an sich zu wehren und für uns war dies eine Verpflichtung ihn zu unterstützen. Gemeinsam kämpften und kämpfen wir Seite an Seite mit den unterschiedlichsten Orgas und Vereinen. Er erhielt dadurch eine Stimme nach außen. Trotz Repressionen, Folter und Sanktionen blieb er stark. Hast sich nicht biegen und brechen lassen. Seine Art und Weise machte uns stark und nun gingen und gehen wir diesen Weg gemeinsam. Durch die gelebte, lautstarke Solidarität von den Leuten jenseits der Knastmauern schöpfte er neue Kraft und kämpfte weiter. Mit dem Knast Moabit ist er noch nicht durch, es sind noch einige Probleme, die er abarbeitet. [Anmerkung C4F: wir werden berichten]

Besuche fanden unserseits nicht statt, er sollte lieber mit seiner Freundin skypen. Die Coronainfektionsschutzverordnung wurden eh im Knast nicht eingehalten und wir hatten keine Lust uns zu infizieren. Pforte 7 ist vergleichbar mit dem Eingang zur Hölle. Dort bekamen wir jedes mal das Gefühl wir müssen uns entschuldigen für unser Kind. Der Wäschewechsel war dort immer spannend, man wusste nie wie die Launen der Typen dort waren und was sie sich wieder einfallen lassen würden. Ewig stehen lassen vor dem Ausgang im Hof war das kleinere Übel. Einfach nur abartig. Beschwerden per Mail wurden seitens der Leitung immer ignoriert.

Während seiner 14 Monate in diesem Knast musste er erleben, wie zwei Menschen ihr Leben verloren haben. (Dunkelziffer könnte höher sein) Wäre die deutsche Justiz und ihre Mitarbeiter ihrer Arbeit anständig nachgegangen, hätten Beide noch leben können. Dank seiner Ausbildungen war er in der Lage die Rettungskette beim Versuch Ferhat M. zu retten zu erkennen. Durch Gespräche mit Inhaftierten kam dann das Unvorstellbare ans Tageslicht. Der Solidarität der Gefangenen untereinander ist es zu verdanken, dass das grausame Erlebnis an die Öffentlichkeit gelangte. Die Repressalien danach ertrug er mit Stolz und Würde.

Er hat diesen tödlichen Knast mit erhobenem Haupt verlassen und wir sind stolz auf ihn.

Sein Kampf geht weiter und er weiß, er ist nicht alleine!
Dieses gibt ihm Kraft zum Durchhalten und dadurch stärkt er uns. Wir sind im Herzen mit ihm verbunden.

So haben wir unseren Bengel erzogen, er gibt uns aus dem Knast die Kraft weiter durchzuhalten. Er hat in diesen Knast Moabit seine Spuren hinterlassen und die anderen Gefangenen haben mitbekommen und erkannt, wie man sich wehren kann.
Die Waffen der Inhaftierten sind nun mal ein Stift und Papier.

Wir danken dir, deine Eltern.

Anmerkung C4F: Auch wir wollen uns an dieser Stelle bei den Eltern und natürlich bei Kay bedanken! Ohne euch wäre einiges nicht möglich gewesen, viele Informationen, Dreistigkeiten des Knastes und Taten, die sie verschweigen wollen, wie die Ermordung von Ferhat Mayouf, hätten den Knast niemals verlassen. Wir werden weiterhin Seite an Seite, gegen Knäste und den Staat, kämpfen!